Das Einzelkrankenhaus hat kaum eine Zukunft

Warum das Einzelkrankenhaus kaum eine Zukunft hat und ein kommunaler Krankenhauskonzern Daseinsvorsorge, medizinische Qualität und Wirtschaftlichkeit sichern könnte.

von Dr. Stephan Balling

„Einsamkeit, in der Blüte duftet nicht der Erde Glück!“ So dichtete im vorletzten Jahrhundert Hieronymus Lorm (Heinrich Landesmann). Der Österreicher hatte damals ganz gewiss kein Krankenhaus im Blick, zumindest verfügte seine Heimatstadt Nikolsburg (heute: Mikulov) über keine eigene Klinik. Doch dass Einsamkeit eher unglücklich macht, gilt heute im Gesundheitswesen umso mehr.

Das Einzelkrankenhaus hat kaum eine Zukunft! Da sind sich Topmanager und führende Juristen aus dem deutschen Krankenhauswesen einig. Vor allem im kommunalen Bereich spricht viel für eine stärkere Verbundbildung. Die Idee eines überregionalen kommunalen Krankenhauskonzerns – ein öffentlich-rechtliches Agaplesion – stößt auf wachsendes Interesse. Doch ist solch ein Konzern wirklich sinnvoll? Wie könnte er konkret aussehen? Und: Was kann der kommunale Sektor hierfür vom freigemeinnützigen und privaten Sektor lernen?

Vor diesem Hintergrund hat die Forschungsstelle für öffentliche und Non-profit-Unternehmen der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen eine Studie erstellen lassen, die von consus clinicmanagement gefördert wurde. In ausführlichen Interviews lieferten hierfür Topmanager und Juristen aus dem Krankenhauswesen (siehe unten) ihre Einschätzungen.

Eines der Kernergebnisse der Untersuchung: Allenfalls Maximalversorger können es auch künftig schaffen, als Solist höchste medizinische Qualität zu liefern, so die übereinstimmende Ansicht. Sie dürften jedoch oftmals auf die finanzielle Unterstützung ihres Trägers angewiesen sein.

Schon vor Corona war die finanzielle Lage außerhalb der Konzerne und Ketten teils äußerst prekär. Das zeigt beispielsweise der Krankenhaus Rating Report 2020: Krankenhausketten erwirtschaften demnach im Durchschnitt ein Jahresergebnis von 2,2 Prozent, Einzelkrankenhäuser liegen bei nur 0,3 Prozent. Dabei fällt auf: In den westdeutschen Bundesländern, die relativ viele Häuser mit schlechter Finanzlage ausweisen, war der Anteil öffentlich-rechtlicher Kliniken besonders hoch. Dafür sind die Kommunen dort relativ reich, sie können sich wirtschaftlich schwächelnde Kliniken also leisten.

Bisher konnten diese Krankenhäuser trotz roter Zahlen (über-)leben. Ein starker Träger erlaubt so manches Defizit. Doch wie lange geht das gut? Die COVID-19-Pandemie schlägt nicht nur auf die Finanzen der Krankenhäuser durch, sondern auch der Kommunen. Steht angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung eine neue Privatisierungswelle bevor? Und wäre das ein Übel?

Als Common Sense gilt im Krankenhauswesen, dass die privaten Klinikbetreiber seit den 1980er-Jahren in Deutschland überaus positive Impulse gesetzt haben: für ein besseres Management und effizientere Prozesse, die am Ende nicht nur der Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem auch der medizinischen Qualität dienen. Standardisierung als Qualitätstreiber in der Medizin, bis zu einem gewissen Grad scheint das plausibel. Geschäftsführer und Ärzte wechselten nach Jahren in privaten Krankenhäusern in kommunale Kliniken und brachten dorthin ihr Management-Know-how mit.

Bis zu einem gewissen Grad sorgte die Privatisierung also für Gesundheit, für die Krankenhäuser selbst, aber vor allem auch für die Patienten. Jedoch besteht auch die Gefahr einer Überdosis. Dafür gibt es starke ökonomische Argumente. Zwar gilt auch im Gesundheitswesen, dass Effizienz als das Gebot der Stunde gilt. Das Ziel der bestmöglichen medizinischen Versorgung der Bevölkerung soll nach dem ökonomischen Prinzip möglichst sparsam erfolgen, um dem allgegenwärtigen Problem der Knappheit von Fachkräften und finanziellen Mitteln zu begegnen. Wettbewerb belebt auch im Gesundheitswesen das Geschäft und wirkt als Treiber für innovative medizinische Leistungen und Organisationsstrukturen. Dabei zeigt die Wirtschaftsgeschichte, dass es kaum einen besseren Katalysator für Effizienz und Innovationskraft gibt als die Marktwirtschaft und freies Unternehmertum. Zugleich aber weiß die moderne Ökonomik um viele Formen des Marktversagens.

So gilt Gesundheit beispielsweise zu Recht oftmals als öffentliches Gut, es profitiert nicht nur der Nutzer selbst. Wer sich zum Beispiel auf COVID-19 testen lässt, schützt vor allem andere. Ansteckende Krankheiten und mangelnde gesundheitliche Resilienz wirken auf die gesamte Gesellschaft, wenn der Einzelne sich nicht kümmert. Hier ist Gemeinschaftssinn gefragt, nicht Konkurrenz. Die aber belebt üblicherweise das Geschäft. Die Monopolkommission warnt vor möglichen Qualitätsdefiziten, wenn Krankenhäuser keinem Wettbewerb unterliegen.


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Was also tun, mit defizitären Kreiskrankenhäusern, konkursnahen Kliniken in klammen Kommunen? Privatisieren? Sicher, das kann mit Blick auf die erfolgreichen privaten Konzerne eine Lösung sein. Aber sollte es die einzige Alternative sein? Wäre ein vollständig oder weitgehend privatisiertes und gewinnorientiertes Krankenhauswesen gesellschaftlich akzeptabel?

Vielleicht zeigen die Kirchen, wie es geht. Katholische und evangelische Betreiber führen ihre Krankenhäuser seit Jahren Stück für Stück in Verbünden und Konzernstrukturen zusammen. Ist das auch ein Weg für kommunale Häuser? Was sind eigentlich die konkreten Vorteile solcher Strukturen? Und wie sollte so ein Konzern ausgestaltet sein mit Blick auf die Governance, aber auch die gesellschaftsrechtliche Struktur?

In den Interviews für die Studie nennen die Klinik-CEOs vor allem Vorteile bei „Shared Services“ als Argument für größere Strukturen. Zu den internen Dienstleistungen, die eine zentrale Einheit für den gesamten Konzern erbringt, gehören beispielsweise:

  • Know-how-Transfer
  • Bessere Schulung der Mitarbeiter
  • Klinikinterner und konzernweiter berufsgruppenübergreifender Austausch zu Qualität, Best Practice (Bsp.: Ideen für den Umgang mit Mangelernährung)
  • Innovation infolge von gebündeltem Know-how, sowohl bezüglich des Innovationsprozesses als auch der Akkumulation von Wissen und Erfahrung
  • Beratung in Fragen der Medizinstrategie, ggf. auch darüberhinausgehende finanzielle Hilfe beim Aufbau eines MVZ
  • Interne Benchmarks und Qualitätsindikatoren
  • Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen
  • Hausübergreifende Ethik-Komitees
  • Effizientere Steuerung von Patienten (Bündelung von Kapazitäten, Erfüllung von Mindestmengen und Spezialisierung)
  • Mehr Möglichkeiten, Qualitätsstandards zu entwickeln

Als „Gefahr“ für ein Einzelkrankenhaus sehen die Interviewpartner, dass Entwicklungen oder neue Erkenntnisse nicht oder unzureichend erfasst werden. Konzerne können dies mit zentralen Einheiten angehen, etwa mit eigenen Referaten (zum Beispiel zu Fragen des Qualitäts- und Risikomanagements), regelmäßigen Chefarztrunden, Arbeitsgruppen der Fachärzte oder Plattformen zum Wissenstransfer.

Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht in kleineren Einzelkrankenhäusern die Gefahr medizinischer Qualitätsmängel. Er verweist darauf, dass im Jahr 2014 unter anderem 40 Prozent der Krankenhäuser, die Patienten mit Herzinfarkten versorgten, kein Herzkatheterlabor hatten. Bis heute dürfte sich an dieser Versorgungsstruktur im Grundsatz kaum etwas geändert haben. Der Sachverständigenrat kommt zu dem Schluss: „Dies sind nur einige Indizien da-für, dass es in Deutschland viele kleine und wenig spezialisierte Krankenhäuser gibt. Für viele Krankenhäuser dürfte die Vorhaltung der Möglichkeiten für eine hochspezialisierte Versorgung kaum wirtschaftlich sein.“

Aus Managementsicht ist auch ein professionelles und erfolgreiches Personalmanagement in Konzernstrukturen leichter zu verankern. Konzerne böten inklusive unternehmenseigener Akademien vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter, zum Beispiel in verschiedenen Fach- und Spezialisierungsbereichen wie Kindermedizin oder Intensivmedizin. Außerdem könne ein Mitarbeiter bei individuellen Problemen mit Vorgesetzten oder Kollegen eine Abteilung oder ein Haus leichter wechseln und bleibe dem Konzern trotzdem erhalten. Vorteile werden auch gesehen bei der Fähigkeit, Pflegepersonaluntergrenzen einzuhalten.

Auch im Career-Management, also der Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Mitarbeitern, schätzen die Leitungen von Krankenhäusern die Möglichkeiten des Verbunds. Zwar erfolge das Personalmanagement sehr stark auf lokaler Ebene, könne aber mit einem überregional entwickelten Employer Branding unterstützt werden. Als ein Beispiel wird eine Social-Media-Strategie genannt, die darauf abzielt, Fachkräfte aus Konkurrenzkrankenhäusern zu identifizieren und ihnen online Stellenangebote zu zeigen. Solch ein lokal erprobtes Konzept lässt sich auf andere Standorte übertragen. Insbesondere nennen sie die Möglichkeit eines zentralen Auslandsrecruitings und eines zentralen E-Learnings. Insgesamt steige die Attraktivität mit Blick auf Karriere- und Rotationsmöglichkeiten, es gebe mehr Optionen für Weiterbildung, sei es zur fachlichen Qualifizierung oder zur Entwicklung von Führungskräften. Doch was heißt eigentlich „Konzern“? Der evangelische Krankenhauskonzern Agaplesion firmiert als gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG) und wird immer wieder als Vorbild genannt. Die Holdingstruktur setzt auf Kooperation mit den Betreibern vor Ort. Dort verbleiben 40 Prozent der Anteile am Krankenhaus, 60 Prozent gehen an die Holding. Der lokale Träger erhält entsprechend Agaplesion-Aktien.

Eine gAG ist aber nicht die einzig denkbare Rechtsform. Die Alexianer-Krankenhäuser und die BG Kliniken beispielsweise firmieren als GmbH. Unter den Juristen, die für die Studie befragt wurden, wird für eine kommunale Konzernbildung durchaus auch die Anstalt des öffentlichen Rechts (AÖR) als vorteilhaft gesehen. Um die Vorteile von Shared Services mit hoher Verbindlichkeit zu nutzen, ist die gesellschaftsrechtliche Zusammenführung in Konzernstrukturen nötig. So kann sichergestellt werden, dass sich alle an die Vorgaben halten. Das gilt für eine einheitliche Konzernbuchungsrichtlinie genauso wie für Hygiene- und Qualitätsstandards oder Prinzipien in der Mitarbeiterführung. Sehr konkret wird es auch beim Aufbau einheitlicher IT-Systeme, wenn es gilt, Standards einzuhalten.

Wesentliches Unterscheidungsmerkmal von GmbH und AG mit Blick auf die Governance ist die Gestaltungsfreiheit. Während der gesetzliche Rahmen für die AG relativ klar und fest ist, besteht bei der GmbH mehr Flexibilität. Dies zeigt sich auch bei den drei in dieser Studie näher untersuchten Konzernen: So haben die BG Kliniken beispielsweise keinen Aufsichtsrat, dafür eine relativ starke Stellung der Gesellschafterversammlung mit einem Hauptausschuss. Dem Gesellschaftsvertrag kommt bei der GmbH eine besonders hohe Bedeutung zu.

Die starke Stellung des Vorstandes in der AG dürfte dem Ziel der möglichst großen Politikferne sowie der Verpflichtung zur am medizinischen Bedarf orientierten Daseinsvorsorge am besten nachkommen. Alle befragten Rechtsexperten betonten die Weisungsungebundenheit des Vorstandes einer AG gegenüber seinen Aufsichtsräten. Denn damit haben beispielsweise Kommunalpolitiker kein direktes Durchgriffsrecht auf Vorstandsentscheidungen. Der Vorstand kann also stärker im Sinn des Unternehmenszwecks handeln, ist nicht oder zumindest deutlich weniger dem politischen Spiel in Kommunalverwaltung oder Kommunalparlament unterworfen.

Allerdings fiel auch in allen Gesprächen der Hinweis auf das Landesrecht. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen und die dort verankerte Subsidiaritätsvorschrift beziehungsweise die Einschränkungen für Aktiengesellschaften in kommunaler Hand. Demnach darf eine Kommune eine AG nur dann betreiben oder sich an ihr beteiligen, wenn der öffentliche Zweck nicht ebenso gut in einer anderen Rechtsform erfüllbar ist. Das dürfte im Einzelfall nicht immer leicht nachzuweisen sein.

Neben dem Management, das stärker auf Kooperation setzen sollte, und den kommunalen Trägern, die erwägen müssen, ob ihre Krankenhäuser als Einzelkämpfer wirklich eine dauerhafte Zukunft haben, ist also auch die Politik gefordert. Letztlich empfiehlt sich in jedem Fall Hieronymus Lorm, zu lesen, um der Einsamkeit zu begegnen:

„Einsamkeit, in deiner Blüte
duftet nicht der Erde Glück,
Nimmer gibst du dem Gemüte,
Was verloren ist, zurück.
Aber unbekannte Schauer
Lockst du aus verborgner Trauer
Durch des Geistes Macht hervor,
Und sie ziehn nach fremden Sternen,
Nach dem Licht der erdenfernen
Ewigkeit das Herz empor.
Einsam spricht des Herzens Pochen, 
Was die Lippe nie gesprochen.“

STUDIENAUTOREN:

Dr. Stephan Balling, Prof. Dr. Björn Maier

EXPERTEN IN DER KONZEPTSTUDIE:

  • Dr. Axel Fischer, Vorsitzender der Geschäftsführung München Klinik gGmbH
  • Dr. Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender Agaplesion gAG
  • Reinhard Nieper, Vorsitzender der Geschäftsführung BG Kliniken – Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH
  • Prof. Dr. Erika Raab, Geschäftsführerin Kreisklinik Groß-Gerau GmbH
  • Andreas Barthold, Hauptgeschäftsführer Alexianer GmbH
  • Prof. Dr. Bernd Halbe, Dr. Halbe Rechtsanwälte
  • Dr. Oliver Klöck, Mitglied der Geschäftsführung; Michael Stein, Partner, Taylor Wessing
  • Peter Pfeiffer, Partner Curacon Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
  • Oliver Stein, Prokurist/Senior Manager, Fachbereich Gesundheitswesen und Sozialwirtschaft, BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft; Lorenz Frank, BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Link zur Studie

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