5G – Turbo für die Klinik-Digitalisierung

5G ist auf dem Vormarsch – das gilt auch für das Gesundheitswesen. In einem Pilotprojekt testet das Universitätsklinikum Bonn den Einsatz der neuen Technologie und kann dadurch Patienten mitunter noch schneller behandeln. Doch die Technologie dürfte sich vorerst wohl nur für Campus-Kliniken lohnen.

Von Selma Schmitt

Das Tablet blinkt, eine neue Nachricht von den Notfallmedizinern: CT-Bilder einer schweren Kopfverletzung, der Patient ist ohne Helm vom Fahrrad gestürzt. Der Neurospezialist wirft einen Blick auf die Aufnahmen und weiß direkt: Wir müssen operieren. Schon per Telefon gibt er die ersten Anweisungen an das Schockteam in der Notaufnahme und macht sich auf den Weg zum OP-Saal.

Was selbstverständlich klingt, ist eine technische Revolution im Klinikalltag. Im Universitätsklinikum Bonn (UKB) sah die Realität bis vor Kurzem nämlich noch ganz anders aus: Bislang musste sich der Neurospezialist an einer der stationären Workstations auf dem Campus der Uniklinik einloggen. Nur hier konnten er und seine Kollegen sich CT-Bilder anschauen – zumindest in der Theorie. Denn oft dauerte die Übertragung der Bilder so lange, dass er lieber den zehnminütigen Fußweg von der Neurologie zum Notfallzentrum auf sich nahm, um die Verletzung selbst zu bewerten. Eine langsame Datenübertragung und lange Laufwege sind nicht nur lästig. Sie kosten wertvolle Minuten bei der Behandlung kritischer Fälle und rauben Ressourcen, die ohnehin schon knapp sind. Das Bonner Uniklinikum ist diese Probleme seit November 2020 los. Seitdem geht dank 5G-Netz und Tablet alles viel schneller. Die fünfte Mobilfunkgeneration kann nämlich größere Datenmengen übertragen – und das zudem schneller und sicherer als zuvor. Während sich über das 4G-Netz ein Gigabit pro Sekunde verschicken lässt, kann das 5G-Netz unter Idealbedingungen zehn Gigabit pro Sekunde übertragen – das Zehnfache des 4G-Netzes. Das UKB testet nun, welches Potenzial die Technologie für Kliniken birgt. Zusammen mit der Telekom hat das Uniklinikum dazu ein eigenes 5G-Campusnetz installiert, das alle Gebäude und Freiflächen auf dem 45 Hektar großen Gelände verbindet.

Professorin Ulrike Attenberger ist Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am UKB. Sie zieht eine positive Bilanz nach dem ersten Jahr:

„5G ERLEICHTERT DIE KOMMUNIKATION, VERBESSERT DIE PATIENTENVERSORGUNG UND BESCHLEUNIGT UNSERE PROZESSE ENORM.“

Das mache sich vor allem in der Notfallversorgung bemerkbar. Da sich das Schockraum-Team dank der neuen Technik nun kurzfristig mit den Spezialisten abstimmen kann, können die Mediziner früher mit der Therapie starten. Und das kommt vor allem Attenbergers Abteilung zugute. Denn Radiologen arbeiten naturgemäß mit fast allen Fachrichtungen zusammen, was lange Abstimmungsprozesse nach sich zieht. Dank 5G können Kinderradiologen und pädiatrische Kollegen schon über die Therapie entscheiden, während das Kind noch im Kernspintomografen liegt. Der direkte Austausch via Tablet macht es möglich. „Die Technik hat unsere Erwartungen voll erfüllt“, sagt die Radiologie-Direktorin. Schwierigkeiten habe es bislang keine gegeben.

Experten wie Professor Horst Kunhardt überrascht das nicht. Denn das Uniklinikum hat einen großen Vorteil: „Das UKB liegt wie ein eigenes Dorf auf dem Venusberg in Bonn. Da reichen zwei Funkmasten, um das gesamte Gelände ans Netz anzuschließen.“ Kunhardt ist Vizepräsident für Gesundheitswissenschaften an der Technischen Hochschule Deggendorf und forscht zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Er beobachtet Experimente wie in Bonn gespannt und weiß: So innovativ die 5G-Technologie für Kliniken auch ist, so einfach wie in Bonn ist die Umsetzung in den wenigsten Fällen. Denn je weiter die einzelnen Gebäude und Abteilungen auseinander liegen, desto höher sind die Kosten. So macht die Telekom den Preis von der Campus-Größe, den Kapazitätsanforderungen und dem Servicelevel abhängig. Ein mittelgroßes Netz wie am UKB kann dann bis zu 12.000 Euro monatlich kosten. Bei einem Klinikum mit mehreren Standorten in einer Stadt und damit einer noch größeren Fläche wäre ein eigenes Campusnetz nicht rentabel. Die laufenden Kosten übersteigen dann schnell die Anschaffungskosten.

Abseits der technischen und finanziellen Hürden kann es laut Experte Kunhardt auch zu Bedenken bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Patientinnen und Patienten kommen – etwa, dass die Daten im 5G-Netz nicht sicher oder die Strahlung gefährlich sei. Das UKB hat sich mit Blick auf das Thema Sicherheit Unterstützung beim Bonner Cyber-Security-Cluster geholt. Der Zusammenschluss von Firmen und Behörden, wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), erarbeitet Standards und schult zum Thema Datensicherheit. Gemeinsam mit der Telekom haben die Bonner ein Sicherheitskonzept entwickelt.

„WIR HABEN DATENSICHERHEIT VON ANFANG AN MITGEDACHT UND KONNTEN SO VIELE BEDENKEN ENTKRÄFTEN“,

berichtet Professor Wolfgang Holzgreve. Er ist Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKB. Das Campusnetz ist in ein öffentliches und ein privates Mobilfunknetz unterteilt. Letzteres ist von außen nicht zugänglich, sodass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sensible Patientendaten sicher austauschen können. Widerstand habe es wenig gegeben – weder innerhalb noch außerhalb des UKB. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der klinischen Front haben gemerkt, dass die Technik eine echte Erleichterung ist“, sagt er. Das habe sie überzeugt.

Mit ihren Erfahrungen und dem erfolgreichen Pilotprojekt wollen die Bonner als Blaupause für Kliniken deutschlandweit gelten – und zwar besonders für Kliniken, bei denen viele Patienten von mehreren Fachrichtungen betreut werden müssen. Denn genau in diesen Fällen kommt es auf Schnelligkeit an. Auch kleinere Kliniken können von einem 5G-Netz profitieren, so Klinikchef Holzgreve. „Diese haben vielleicht im Gegensatz zu Universitätsklinika weniger internen Abstimmungsbedarf, dafür ist der Bedarf für Expertise oder Dienstleistungen von außerhalb besonders groß.“ Dafür müssten die Klinken aber voraussichtlich den Netzausbau der Mobilfunkanbieter abwarten, schließlich sind die laufenden Kosten für ein eigenes Netz hoch – zu hoch für kleine Kliniken.

Es gibt jedoch Hoffnung: Bis zum Jahr 2025 soll zumindest im Telekom-Netz 90 Prozent der Fläche Deutschlands mit 5G versorgt sein.

„VOR ALLEM IM LÄNDLICHEN RAUM KÖNNTE DAS EINE VERLÄSSLICHE ALTERNATIVE ZUM SCHLECHTEN WLAN- UND LTE-NETZ SEIN“,

prognostiziert Experte Kunhardt.

Am Bonner Uniklinikum zählt die 5G-Technologie zudem zu den wichtigsten Bausteinen der Digitalisierungsstrategie. Radiologin Attenberger rechnet beispielsweise damit, in einigen Jahren aus der Ferne zu operieren – indem sie per Funk Roboter am OP-Tisch steuert. „Gerade da brauchen wir ein hochleistungsfähiges Netz, das Daten in Millisekunden überträgt.“ Das will sie zunächst auf dem Gelände des UKB testen. Langfristig wäre aber auch denkbar, dass Experten aus Bonn akute Fälle in anderen Kliniken operieren können – sofern der OP-Roboter an ein gutes 5G-Netz angeschlossen ist. Dann könnte beispielsweise ein Neurologe von München aus einen Hirntumor in Berlin operieren (siehe Kasten).

Auch für das Pflegepersonal bietet 5G neue Perspektiven. „Dort dürfte die Technik deutlich entlasten“, sagt Kunhardt. Pflegeroboter könnten Pillen verteilen, automatische Leitsysteme die Patienten allein zum CT führen. Das schnelle 5G-Netz macht es möglich, weil die Roboter so in Echtzeit miteinander kommunizieren und dadurch autonom über den Campus steuern können. „Auch das Monitoring könnte ganz digital ablaufen“, sagt Kunhardt. Patientendaten wie Vitalparameter, aber auch Sturztendenzen könnten digital erfasst werden und auf Notfälle hinweisen. Auch bei der Krankenhauslogistik könnte 5G helfen: Fehlt dem Arzt ein Stethoskop, kann er es sich einfach vom Roboter bringen lassen, der auf Basis von 5G allein über den Campus fahren kann. Für das UKB steht darum jetzt schon fest: Die neue Technologie wird viele weitere Anwendungen ermöglichen.

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