Erfinder Tim Lüth spricht über seine bekannteste Erfindung, den Chirurgie-Roboter der Charité Berlin und seine Passion Innovationen zu entwickeln

Tim Lüth ist ein Erfinder, wie er im Buche steht: Er entwickelt Ideen am laufenden Band und hat Hunderte medizinische Roboter und Navigationsgeräte gebaut, die auf der ganzen Welt genutzt werden. Dabei arbeitet er vor allem an erschwinglichen Robotern mit großem Anwendungsbereich.

Von Celine Schäfer

Wer Tim Lüth in seinem Professorenbüro in Garching bei München besucht, dem fallen gleich die Ergebnisse seiner Tüfteleien ins Auge: ein mobiler Roboter auf zwei Rädern, ein Roboter-Arm, der sich an der Wand befestigen lässt, ein kastenförmiges Gerät, das an den Akku einer Bohrmaschine erinnert. Wenn man ihn auf die Roboter anspricht, sprudelt die Begeisterung über seine Arbeit nur so aus ihm heraus: Er läuft mit der Webcam durch den Raum, der eine Mischung aus Büro und Werkstatt ist – ein Regal mit Fachliteratur hier, ein Arbeitstisch mit Werkzeug und Roboter-Prototypen da. „Die Bücher sind zwar wichtig, aber ich muss ja auch Vieles bauen“, erklärt der 56-Jährige. „Und da ist es notwendig, auch ein bisschen Technik in der Nähe zu haben, immer etwa drei bis vier Roboter.“

Im Gespräch mit Tim Lüth merkt man sofort, dass in diesem Mann zwei Leidenschaften stecken: Einerseits kennt er sich auf seinem Fachgebiet, der Medizinrobotik, bestens aus, kennt wohl alle wichtigen Protagonisten und Trends aus dem Forschungsfeld. Andererseits ist er nicht nur Professor für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik an der Technischen Universität München. Der 56-Jährige ist auch Erfinder, und zwar einer der renommiertesten auf dem Gebiet der Medizinrobotik – und Inhaber von drei Unternehmen, die seine Ideen umsetzen. Darunter ist zum Beispiel die Firma All-of-Innovation, die Systeme zur Navigation, Robotik und computergestützte Planungs- und Fertigungsverfahren erforscht und entwickelt. Und mit der Firma RoboDent arbeitet er an Robotern für die Zahnmedizin.

Lüth wirkt deutlich jünger, als er ist. Er lacht viel und im Gegensatz zu vielen anderen Forschern versteht er es gut, seine Erfindungen mit einfachen Worten zu erklären. Die Begeisterung fürs Erfinden packte Lüth schon als Kind: „Ich habe damals von Robotern geträumt, von denkenden Maschinen, wie es sie nur in Filmen gab“, erzählt er. Einer seiner Lieblingsfilme war „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“, der von einem kleinen außerirdischen Roboter handelt, der bei einer Bruchlandung von seinen Eltern getrennt wurde und sich mit einem kleinen Jungen anfreundet.

Solch menschenähnliche Roboter gibt es natürlich immer noch nicht, aber „denkende Maschinen“ sind mittlerweile weit verbreitet und in OP-Sälen auf der ganzen Welt zu finden – einige davon gehen auf Ideen von Tim Lüth zurück. Seine bislang bekannteste Erfindung: ein enorm präziser Chirurgie-Roboter, der vor allem in der Gesichts-, Kiefer-, Dental- und Neurochirurgie Anwendung findet und den Spitznamen „Otto an der Decke“ trägt, eben weil er an der Raumdecke montiert wird. Zu seinen Entwicklungen zählt außerdem ein Handstück zum Führen von Instrumenten für die Zahnmedizin.

Für Innovationen wie diese bekommt der gebürtige Hamburger viel Ansehen, einerseits in seiner Branche, andererseits in der Erfinder-Szene. Im Jahr 2007 wurde er etwa vom Europäischen Patentamt als „Erfinder des Jahres“ für sein Lebenswerk nominiert. Lüth war einer der drei Finalisten, musste dann allerdings gegenüber Marc Feldmann zurückstecken, einem Briten, der zu Autoimmunkrankheiten forscht.

Lüths Erfindergeist hat das nicht geschmälert, er füttert weiterhin seine Datenbank mit Ideen – und zwar fast jeden Tag, mal mit einer, mal mit fünf Innovationen. „Ich habe ununterbrochen Ideen, zu allen möglichen Dingen“, erzählt Lüth. „Ich sehe ein Produkt und stelle mir vor meinem inneren Auge vor, wie es besser funktionieren könnte.“ Natürlich wird auch bei Lüth nicht jede Idee zum Produkt. Schließlich hat auch bei ihm ein Tag nur 24 Stunden. Die versucht er aber stets optimal zu nutzen, indem er wenig schläft und weder fernsieht noch Radio hört. „Wenn man sich auf eine Idee fokussiert und anfängt, Prototypen zu bauen, muss man zwangsläufig eine andere Idee zurückstellen“, sagt Lüth. „Beim Bauen merkt man dann aber schnell, was sinnvoll ist und was nicht.“

Sinnvoll, das heißt für den Erfinder nicht, dass ein Produkt viel Geld bringen muss, damit er es entwickelt und fertigstellt. „Es geht vielmehr darum, welchen Nutzen etwa ein Roboter der Gesellschaft bringen würde – und zwar im Sinne von: Wie viele Menschen würden davon profitieren?“, erklärt er. Bei manch anderem Unternehmer würde man solche Sätze wohl als Selbstvermarktung abtun. Bei Lüth klingt es einfach pragmatisch, so wie er selbst: „Ich will einfach Maschinen erfinden, die einen großen Mehrwert schaffen.“

Anstatt Ideen zu entwickeln, die nur einer Handvoll Menschen mit einer seltenen Krankheit nützen, steckt Lüth seine Zeit und sein Geld lieber in Projekte, die vielen Menschen helfen. „Über die Ideen, die nur kleinen Gruppen helfen würden und deshalb nicht entwickelt werden, spricht man deshalb am besten gar nicht“, sagt er. „Sonst weckt man Träume, die am Ende nicht erfüllt werden, weil die potenziell hilfreiche Maschine finanziell nicht rentabel ist und es deshalb nie auf den Markt schafft oder schon bald wieder verschwindet.“ Sein Ziel ist es daher immer, möglichst erschwingliche Roboter zu entwickeln, die auf einem breiten Feld Anwendung finden könnten.

Lüth sieht sich beim Erfinden gar nicht als Entdecker oder Pionier, sondern als Dienstleister: „Ich formuliere meine Ideen so, dass die Mitarbeiter aus meinen Unternehmen sie umsetzen können“, erklärt er. Er selbst ist also „nur“ der Ideengeber, um den Rest kümmern sich seine Angestellten. „Bei der Formulierung der Idee geht es darum, deutlich zu machen, warum jemand anderes für dieses Produkt Geld bezahlen sollte.“ Diese Service-Mentalität hat sich Lüth schon als Schüler angeeignet: Damals hat er Software geschrieben und an Firmen verkauft, um sich etwas Geld dazuzuverdienen. Als Professor versucht er diese Denkweise an seinen Doktoranden weiterzugeben.

Lüths sehr pragmatisches Verhältnis zu seiner eigenen Arbeit könnte auch die Erklärung dafür sein, dass er selbst wenig Wert darauf legt, sich mit den Erfolgen seiner Produkte zu brüsten. Klar, sein „Otto“ wurde medial viel besprochen – aber sicher auch deshalb, weil die Berliner Charité, für die Lüth den Roboter entwickelt hat, mit seinen modernen OP-Verfahren werben wollte. Bei anderen, vielen hundert Erfindungen hält sich Lüth zurück und überlässt das Marketing lieber den Unternehmen, die seine Produkte vertreiben.

Ganz genau kann man also nie wissen, woran Lüth gerade bastelt und welche Innovation in der Medizinrobotik in seinem Arbeitszimmer im Münchner Vorort Garching entstanden ist. Er bleibt bescheiden. Eins ist allerdings sicher: Lüth hat oft den richtigen Riecher dafür, in welchen Bereichen Potenzial zum Fortschritt steckt. Momentan sieht er große Chancen in der intravaskulären Robotik, bei der extrem feine Instrumente minimalinvasiv und hochpräzise in Blutgefäße eingeführt werden. „Das wird die interventionelle Radiologie, die Kardiologie, die Herzchirurgie und alle Kathetertechniken revolutionieren“, prognostiziert er. Mehrere Firmen entwickeln aktuell Roboter, mit denen flexible Katheter im Körperinneren bewegt werden. Die Genauigkeit der Roboter macht das Röntgen überflüssig – so werden mögliche Risiken der Bestrahlung für Patienten vermieden. Und: Ohne Röntgen braucht es auch kein Kontrastmittel, das bei einigen Patientinnen und Patienten allergische Reaktionen hervorruft.

Da Lüth aber nicht nur erfahrener Forscher und Erfinder, sondern auch Pragmatiker ist, kommen ihm beim Blick in die Zukunft auch noch ganz andere Herausforderungen in den Sinn, die sich durch eher weniger komplexe Ideen lösen lassen könnten – vor allem in der Pflege. „Zum Beispiel wäre es sinnvoll, Sessel zu entwickeln, die ältere Menschen beim Aufstehen unterstützen, ohne Motoren, etwa durch eine Feder“, sagt er. „Dann müssten Pfleger keine Kraft mehr aufwenden, um ihren Patienten aufzuhelfen.“ Klingt banal. Aber genau das ist das Problem: Aus Lüths Sicht fehlt es gerade an den Produkten, bei denen jeder denkt, es gebe sie schon. „Das liegt auch daran, dass wir in Medien – wie Filmen – immer Innovationen sehen, die in Asien angeblich schon lange Gang und Gäbe sind, obwohl das gar nicht stimmt“, sagt er. „Und das sorgt für ein großes Problem – nämlich dafür, dass junge, eigentlich ambitionierte Menschen sich nicht trauen, ihre Ideen auszuarbeiten.“

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