Maxie Matthiessen: FemTech-Pionierin und Frauenversteherin

Maxie Matthiessen ist eine der Pionierinnen im Femtech-Bereich. Sie verkaufte nachhaltige Menstruationstassen, als über das Thema Periode am liebsten noch hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Mit FEMNA Health hat sie die erste Telemedizin-Plattform für weibliche Gesundheit gegründet – und will damit zur ersten Anlaufstelle für Frauengesundheit werden.

Von Selma Schmitt und Celine Schäfer

 

Es gab eine Zeit, da war Maxie Matthiessens E-Mail-Postfach voll von Nachrichten von Frauen, die sie um Rat baten. Es ging zum Beispiel um unerfüllte Kinderwünsche oder Blutungen abseits der Periode. „Am Anfang habe ich mich gefragt: Warum wenden sich die Frauen an mich in meiner Position als Gründerin von einer Menstruationstassenfirma, statt zu ihrem Frauenarzt zu gehen?“, erzählt Unternehmerin Matthiessen.

Auf diese Frage gibt es wohl zwei Antworten. Erstens, das hatte die 38-Jährige damals recherchiert, dauert die durchschnittliche Behandlungszeit beim Gynäkologen hierzulande gerade einmal sieben Minuten – und zwar inklusive An- und Ausziehen. Es gibt bei deutschen Frauen also ungestillten Redebedarf. Zweitens steht Matthiessen wie kaum eine andere für das Thema Frauengesundheit. Sie hat nämlich im Jahr 2011, als nachhaltige Menstruationsprodukte noch längst nicht im Trend waren, Ruby Cup gegründet. Das Sozialunternehmen vertreibt Menstruationstassen nach dem „Buy one, give one“-Modell. Das bedeutet: Jeder, der eine der Tassen in einem Industrieland kauft, spendet auch eine an eine Frau in Kenia. Matthiessen ist bei Ruby Cup mittlerweile ausgestiegen, um sich ganz auf ihr neues Start-up zu konzentrieren: FEMNA Health, Deutschlands erste Telemedizin-Plattform für weibliche Gesundheit. Dort können Nutzerinnen mithilfe von Online-Beratungen durch Ärzte und Heilpraktiker und Tests für zu Hause zum Beispiel ihre Vaginal-, Hormon- oder Blasengesundheit prüfen. Die Idee ist an sich nicht neu: Auch Unternehmen wie Cerascreen und Versiana bieten Labortests für Zuhause an. FEMNA ist allerdings die einzige Plattform, die sich ausschließlich auf weibliche Gesundheit konzentriert. Außerdem koppelt das Start-up die Labortests mit einer ausführlichen Gesundheitsberatung, statt nur eine schriftliche Auswertung des Tests zu liefern.

Matthiessen besitzt, wie wohl jede Sozialunternehmerin, das „Weltverbesserer-Gen“. Mit Ruby Cup wollte sie zum Beispiel nichts Geringeres als „allen Mädchen und Frauen den Zugang zu nachhaltiger Frauenhygiene ermöglichen“. Wie eine Aktivistin wirkt sie allerdings nicht. Eher wie eine engagierte Unternehmerin, die ein Auge dafür hat, wo es ein Problem gibt – und aus welcher Lösung man dann ein Geschäftsmodell entwickelt. „Connecting the dots“ nennt sie das, aber eben in einem Rahmen, in dem sich gesellschaftlich etwas bewegen und nicht nur Geld verdienen lässt.

Dass Matthiessen sich dabei auf die weibliche Gesundheit konzentriert, hat keinen fachlichen Hintergrund. Die Gründerin hat nicht etwa Medizin studiert, sondern Politikwissenschaften und International Business an der Copenhagen Business School. Sie kommt aber aus einer Ärztefamilie: Ihre Großeltern waren Ärzte, ihr Vater ist Tierarzt, ihre Mutter Psychologin und ihre Schwester Allgemeinmedizinerin.

„Da stehen Gespräche über Medizin auf der Tagesordnung“, sagt Matthiessen. Die Idee zu Ruby Cup ist Matthiessen im Rahmen einer Studienarbeit an der Universität in Kopenhagen gekommen, noch während des Studiums hat sie sie in die Tat umgesetzt.

Die Geschäftsidee von Ruby Cup hat sich längst bewährt, das Sozialunternehmen hat mittlerweile über 110.000 Cups gespendet. So rund lief es allerdings nicht von Anfang an.

Vor allem die Finanzierung bereitete der Gründerin Probleme. Als Sozialunternehmen hätte Ruby Cup zwar Geld aus der Entwicklungshilfe erhalten sollen, aber das Thema Menstruationshygiene war damals noch neu für die Behörden. Ruby Cup passte zu keinem der Fördertöpfe und erhielt deshalb weder Unterstützung aus Dänemark, wo Matthiessen das Start-up gegründet hatte, noch aus Deutschland. Letztlich war es die schwedische Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit (SIDA), die das Geld für die Gründung bereitstellte.

Heute werden Start-ups zum Thema Frauengesundheit und ihre Gründerinnen in den Medien gern präsentiert. Anfang der 2010er-Jahre galten Menstruationstassen, Tampons und Co. allerdings noch als Tabuthemen, Unternehmerinnen wie Matthiessen standen kaum im Fokus der Öffentlichkeit. „Wir waren damals das bekannteste Beispiel für Social Entrepreneurship in Dänemark, auch weil wir stark in der Presse waren“, erzählt Matthiessen. „Und obwohl ich als Gründerin aus Deutschland komme, wollten die deutschen Medien nicht über uns berichten.“ Das Thema hätte man Lesern oder Zuhörern nicht zumuten können, so die Begründung der Journalisten.

„Das ist heute anders“, sagt Matthiessen. „Menstruationsunternehmen und Frauengesundheit sind jetzt sexy.“ Matthiessen wird nun oft in einem Atemzug mit Frauen wie Ida Tin, die die Menstruations-App Clue gegründet und damit den Begriff Femtech geprägt hat, und der „The Female Company“-Gründerin Ann-Sophie Claus genannt.


Maxie Matthiessen

Nicht nur unter Femtech-Gründerinnen, auch in der breiten Gründerszene ist Matthiessen gut vernetzt. Neben ihrer Arbeit bei FEMNA engagiert sich die Entrepreneurin für andere Frauen, die bei ihrer Unternehmensgründung noch in den Startlöchern stehen. Ihre Motivation: „Frauen werden weniger gefördert und ihre Start-ups bekommen schlechtere Unternehmensbewertungen als die von männlichen Entrepreneuren“, sagt Matthiessen. „Und das, obwohl wir – statistisch erwiesen – höhere Erfolgschancen haben.“ So ist sie Mentorin im Accelerator-Programm F-Lane und gibt dort Gründerinnen Tipps zu Marketing, Finanzierung und Rechtsform ihrer Unternehmen. „Das hätte ich mir früher auch gewünscht, besonders von Frauen, die schon gegründet haben“, sagt sie. Matthiessen hatte damals zwar auch einen Mentor – der kam aber aus dem B2B-Bereich und hatte nur Erfahrung im Verkauf an Großkunden. „Das funktioniert ganz anders als bei Start-ups, die bei null anfangen.“

Bisher gehen nur etwa 16 Prozent der Start-up-Gründungen in Deutschland auf Frauen zurück, hat der Female Founders Monitor 2020 ergeben. Das muss mehr werden – besonders in der Femtech-Szene, findet Matthiessen. „Ich glaube, dass Frauen diese Themen sensibler angehen können, weil sie schon eigene Erfahrungen damit gemacht haben.“ Wer Periodenschmerzen oder die Auswirkungen der Pille schon mal am eigenen Leib erlebt hat, geht damit anders um. Außerdem kritisiert sie, dass in der Gründerszene die Frauen gerne mal von ihren Geschäftspartnern ins Rampenlicht gezogen werden – aber gleichzeitig den kleinsten Anteil am Unternehmen halten.

Bei FEMNA will sie das anders machen, das Start-up leiten nämlich ausschließlich Frauen. Mit Erfolg: Mittlerweile hat FEMNA schon 14.000 Frauen behandelt. Dabei profitierte das junge Unternehmen auch von der Pandemie, in den vergangenen zwei Jahren sind Telemedizin-Anwendungen viel beliebter geworden. „Unser Umsatz hat sich in nur vier Monaten verfünffacht“, berichtet Matthiessen. Ihr nächster Schritt: Sie will Verträge mit Krankenkassen aushandeln, um die Tests einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Aktuell müssen die FEMNA-Kundinnen ihre Behandlung nämlich noch vollständig selbst zahlen. Gelingt ihr das, könnte sie zur ersten Anlaufstelle für Frauengesundheit werden – und endlich das Sieben-Minuten-Problem bei Frauenarztbehandlungen lösen. Ihr Ziel für das Jahr 2026: 300.000 Frauen erfolgreich behandelt zu haben.

Photo by Gemma Chua-Tran on unsplash