Frauen in Führungspositionen: Wo stehen wir heute?

In Kliniken sind Führungsposten nur selten mit Frauen besetzt. Im Doppelinterview erklären Ärztinnenbund-Präsidentin Dr. Christiane Groß und der Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärztinnen und -ärzte, Dr. Michael A. Weber, warum sich auf den Führungsetagen so wenig bewegt – und welche Maßnahmen weiterhelfen würden.

Interview: Hendrik Bensch

Frau Dr. Groß, Herr Dr. Weber, wenn es um Frauen in Führungspositionen in deutschen Kliniken geht: Wo stehen wir heute und was hat sich in den vergangenen Jahren getan?

Dr. Groß: Der Ärztinnenbund hat 2019 eine Studie gemacht, bei der wir uns die Situation an den Unikliniken angeschaut haben. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen betrug damals 13 Prozent, drei Prozentpunkte mehr als drei Jahre zuvor. 2016 waren unter den Oberärztinnen und Oberärzten an den Unikliniken 31 Prozent weiblich. Wir haben im vergangenen Jahr ein Follow-up gemacht, zu dem die Zahlen noch nicht final vorliegen. Aber was man schon jetzt sagen kann, ist: Es sieht nicht so aus, dass der Frauenanteil stark gestiegen ist. Ich denke, auch an Häusern, die keine Unikliniken sind, dürfte es ähnlich aussehen.

Dr. Weber: Im VLK sind zehn Prozent der Mitglieder weiblich, unter den Oberärzten im VLK ist der Anteil größer – insofern dürfte das von der Größenordnung her relativ deckungsgleich mit den Angaben sein, die Frau Dr. Groß genannt hat.

Dr. Groß: Ein besonders großes Ungleichgewicht gibt es in der Gynäkologie. In diesem Fach sind 70 Prozent des ärztlichen Personals weiblich, aber auch hier besetzen Männer den Großteil der Führungspositionen und der Posten in den Fachgesellschaften.

Bei einem Projekt an vier großen kommunalen Kliniken zur Fachkräftesicherung durch Gleichstellungspolitik, hat sich gezeigt, dass es für Frauen ganz besonders schwierig war, in die höheren Führungspositionen zu gelangen – also leitende Oberärztin oder leitende Ärztin zu werden. Ist das auch Ihrer Einschätzung nach der Fall?

Dr. Groß: Ab einer gewissen Ebene werden die Führungspositionen unbewusst häufig anhand des Thomas-Prinzips vergeben: Die Stelle geht an denjenigen, der einem ähnelt. Und die Denkweise eines Mannes ist einem Mann vielleicht näher als die Denkweise einer Frau. Ein weiterer Faktor sind die Erschwernisse, die Frauen in der Familienphase haben. Wer Kinder bekommt, braucht länger für die Weiterbildung. In dieser Zeit sind dann gleichaltrige Männer an den Frauen vorbeigezogen. Wenn sich Frauen dann auf eine Führungsposition bewerben, sind sie häufig schon älter als Männer und haben weniger Veröffentlichungen. Wir müssen daher zu einem Umdenken in der Gesellschaft kommen: Wenn sich Männer und Frauen nicht in gleichem Umfang an der Familienarbeit beteiligen, wird die Situation bleiben, wie sie ist. Dabei ließe sich auch schon etwas dadurch ändern, wenn eine 40-Stunden-Woche bei Ärztinnen und Ärzten auch eine 40-Stunden-Woche wäre – und nicht 40 Stunden plus Wochenenddienst plus Nachtdienste. Dann hätte man für die Familie mehr Zeit – was sich übrigens auch
viele Männer wünschen.

Dr. Weber: Soweit ich das erlebe, haben Frauen, die sich auf einen Posten als Chefärztin bewerben, heutzutage gute Chancen. Und so wie ich es mitbekomme, gilt das auch für die Wahlen auf Posten in Fachgesellschaften. Ich sehe aber genauso wie Frau Dr. Groß die Erschwernisse in der Familienphase, die dazu führen, dass Frauen später mit ihrer
Weiterbildung fertig sind. Und das wird auch noch durch strukturelle Hürden immer weiter erschwert – etwa Mindestmengen, die ein Arzt bei bestimmten Eingriffen erfüllen muss. Wenn eine Frau familienbedingt weniger arbeitet als der Kollege, wird sie geringere OP-Zahlen aufweisen. Auch dadurch hat sie später Nachteile, wenn es um die Bewerbung für einen Chefarztposten geht. Man muss sich auch die enorme Arbeitsbelastung von Ärzten anschauen. In der Gynäkologie und der Geburtshilfe ist die Belastung besonders stark geworden. Die Bereitschaft, eine leitende Position zu übernehmen, sinkt dadurch. Denn Ärztinnen und Ärzte fragen sich dann zu Recht: Will ich mir das wirklich antun? Was habe ich davon? Man hat zwar mehr Einfluss, aber die Verantwortung und die Ansprüche, die an einen gestellt werden, steigen überproportional. Leitender Arzt oder Chefarzt zu sein ist heutzutage jedenfalls nur noch in den wenigsten Fällen vergnügungssteuerpflichtig.

Dr. Groß: In der Gynäkologie und Geburtshilfe ist der Druck in der Tat besonders hoch, weil hier die Anspruchshaltung aus der Gesellschaft, Perfektionismus abzuliefern, besonders groß ist. Aber auch insgesamt hat durch die Ökonomisierung der Druck zugenommen. Die Klinikverantwortlichen geben diesen an den Chefarzt oder die Chefärztin weiter. Diese Hierarchieebene bekommt somit von unten und oben Druck. Bisher sagen vor allem Frauen: Das tue ich mir nicht an. In der jüngeren Generation denken so auch die Männer, glaube ich. Die jüngere Generation wägt ganz genau ab, ob sie wirklich einen leitenden ärztlichen Posten übernehmen will.

Was muss sich also ändern?

Dr. Groß: Wenn man feststellt, dass die kommende Generation von Ärztinnen und Ärzten viel mehr Wert darauflegt, Zeit für die Familie und Privatleben zu haben, muss man an dieser Stelle anpacken: Zum Beispiel muss es möglich sein, sich Toppositionen zu teilen. Mittlerweile gibt es ja auch einige solcher Stellen, auch an Lehrstühlen ist es möglich. Wir haben vom Ärztinnenbund vor zwei, drei Jahren eine Umfrage unter Internistinnen und Internisten gemacht. Viele konnten sich vorstellen, sich eine Leitungsposition zu teilen – sowohl Männer als auch Frauen, auch gemischt. Wenn man die Arbeitszeitbelastung reduzieren würde, dann würden sich vielleicht auch wieder mehr Frauen für solche Positionen interessieren.

Welchen Beitrag können dabei Kliniken leisten, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?

Dr. Groß: Bei Lehrstühlen und an Unikliniken könnte man Berufungskommissionen paritätisch besetzen. Aber es geht genauso um Änderungen im Mutterschutzgesetz. Hier werden Ärztinnen in der Weiterbildungszeit zu schnell ins Beschäftigungsverbot geschickt, sodass sich ihre Weiterbildung weiter verzögert. Eine andere Stellschraube ist die Kinderbetreuung: Was habe ich als Ärztin davon, wenn ich mein Kind von 8 bis 16 Uhr in die Kita eines Krankenhauses geben kann, meine Dienstzeiten aber nicht dazu passen? Und was mache
ich, wenn während eines Nachtdienstes meine Kinderbetreuung zu Hause krank wird? Da müsste es mehr Möglichkeiten
zur Kinderbetreuung für solche Fälle geben. Es gibt Kliniken, die beispielsweise Mentoringprogramme anbieten, in denen erfahrene Ärztinnen oder Ärzte junge Ärztinnen beraten und begleiten, außerdem finden Schulungen zur Vorbereitung auf eine Führungsposition statt.

Was lässt sich Ihrer Erfahrung nach auf diese Weise bewegen?

Dr. Weber: Wir bemühen uns bei der ALKK und beim VLK Mentoring-Programme auf die Beine zu stellen. Da stehen wir noch vor der Herausforderung, die Kandidaten zu erreichen, weil wir dabei nicht nur die leitenden Ärzte erreichen müssen, sondern auch diejenigen, die es in Zukunft werden wollen.

Dr. Groß: Vielleicht könnten wir ja bei den Mentoring-Programmen kooperieren. Der Ärztinnenbund hat seit Langem ein Mentoring Programm, das wir 2020 auch noch einmal komplett überarbeitet haben.

Dr. Weber: Sehr gerne, auf das Angebot komme ich zurück. Als VLK stehen wir ja ein bisschen im Verdacht, der Klub der weißen, alten Männer zu sein. Aber wir sind sehr wohl selbstkritisch und haben den Anspruch, dass der VLK jünger und weiblicher wird. Und wir wollen das auch nach außen hin stärker zeigen. Wir haben daher den VLK umbenannt: in den Verband Leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte. Leider ist es kein Selbstläufer, mehr Frauen in diese Positionen zu bringen. Bei den Fachgesellschaften, wie etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und der Arbeitsgemeinschaft Leitender Kardiologischer Krankenhausärzte – der ALKK –, gibt es inzwischen auch Frauenbeauftragte. Zu einem höheren Frauenanteil hat das leider noch nicht geführt. Neben mehr Mentoring-Programmen: Was sollte noch angeschoben werden, um es mehr Frauen zu ermöglichen, in eine Führungsposition zu gelangen?

Dr. Groß: Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder. Ich habe vor einiger Zeit einen Workshop mit Studentinnen und Studenten gemacht. Ich habe sie dabei unter anderem gefragt: Wo wollen Sie in zehn Jahren beruflich sein? Es war erstaunlich, wie klar die Männer formuliert haben, welches Fach sie anstreben und dass sie Chefarzt werden wollen. Bei den Frauen gab es keine Einzige, die derart konkrete Vorstellungen hatte.

Woran liegt das?

Dr. Groß: Als Psychotherapeutin arbeite ich gerne mit Bildern. Wenn ich Studentinnen und Studenten frage, an wen sie beim Begriff „Chefarzt“ denken, sehen sie zuerst einen Mann im weißen Kittel vor sich. Der Chefarzt wird also idealisiert als Mann gesehen. Um junge Frauen für diese Position zu motivieren, fehlen uns die positiven Beispiele. Und uns fehlen die Motivatorinnen und Motivatoren, die die jungen Kolleginnen ansprechen und sie für Führungsaufgaben begeistern. Ich habe mich mit der Forderung nach einer Quote lange Zeit sehr schwergetan, stehe aber heute sogar zu einer Forderung nach Parität, zumindest für die Zeit bis sich die Chancengleichheit von alleine darstellt. Meine Hoffnung ist: Wenn mehr Frauen Führungskräfte wären, gäbe es mehr positive Beispiele und mehr Motivatorinnen. Und dann wäre es selbstverständlicher, dass auch Frauen Führungspositionen erreichen.

Dr. Weber: Aber meinen Sie nicht, Frau Dr. Groß, dass wir von alleine eine Veränderung in diese Richtung sehen werden? Mittlerweile sind ja auch unter denjenigen, die einen Facharzt machen, Frauen in der Mehrzahl. Denken Sie nicht, dass es deshalb zeitversetzt einen Schub bei den Führungspositionen geben wird – auch mangels männlicher Bewerber?

Dr. Groß: Ich denke schon, nur leider nicht so schnell, wie wir es uns vorstellen. Man sieht die Veränderungen ja auch schon bei den oberärztlichen Stellen. In Zukunft wird es normal werden, dass Frauen die Hälfte aller oberärztlichen Stellen besetzen. Und so wird es einen Pool an weiblichen Beschäftigten geben, die dann auch leitende ärztliche Stellen übernehmen können. Aber es geschieht einfach zu langsam. Die Diskrepanz zwischen dem Jetzt und einer Situation, in der wir 50 Prozent der Frauen in einer Leitungsposition haben, ist so groß – da wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir so weit sind.

Dr. Weber: Ich halte Quoten nicht für sinnvoll. Wenn es um leitende Positionen geht, ist eine Grundvoraussetzung, dass man die fachlichen Skills mitbringt – neben Führungsqualitäten. Die Autorität eines Chirurgen hängt mit seinen Skills im OP zusammen. Wer eine Naht nicht richtig setzt, ist dann einfach an der falschen Stelle, das heißt die berufliche Vorerfahrung spielt eine entscheidende Rolle.

Dr. Groß: Wenn ich von Quote spreche, dann setze ich voraus, dass die Expertise gleich hoch sein muss. Alles andere würde den Ärztinnen in ihrem Ansehen schaden.

Welchen regulatorischen Handlungsbedarf sehen Sie?

Dr. Weber: Die Ansprüche an Kliniken und Ärzte werden immer höher und höher geschraubt. Die Vorgabe, dass in bestimmten Klinikbereichen eine Fachärztin der Rufbereitschaft innerhalb von 30 Minuten beim Patienten sein muss, ist ein Beispiel dafür. Wir sollten stattdessen etwas tun, um die Belastung der Ärzte zu verringern. Das müssen wir in den Griff bekommen. Wir müssen den Druck verringern, der durch das in der jetzigen Form unsägliche <<-System entsteht und von den Klinikmanagern an uns weitergegeben wird. Wir müssen also leitende Positionen in Kliniken erst einmal wieder attraktiv machen – für Frauen, aber auch für Männer.

Dr. med. Christiane Groß ist Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Sie ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie, ärztliches Qualitätsmanagement und im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein.

PD Dr. med. Michael A. Weber ist Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärztinnen und -ärzte. Er war bis zu seiner Pensionierung Chefarzt und ärztlicher Direktor am Rhön-Klinikum Dachau (jetzt Helios Amper-Klinikum Dachau).

 

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