I’m not alone – Zwei Internistinnen ein Chefarztposten 

Immer mehr Ärztinnen und Ärzte verlangen mehr Flexibilität bei der Arbeit – und das auch in Führungspositionen. An der Evangelischen Elisabeth Klinik in Berlin teilen sich zwei Internistinnen einen Chefarztposten. Das zahlt sich auch für ihren Arbeitgeber aus.

Von Melanie Croyé

Führungspositionen sind herausfordernd: Eine gute Chefin oder ein guter Chef hat nicht nur die eigene Arbeit zu erledigen, sondern ist zugleich für zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich, muss die Arbeit im Team organisieren und dafür sorgen, dass der Laden läuft. Da Frauen noch immer zu einem Großteil die Care-Arbeit zu Hause übernehmen und dann keine Kapazität mehr haben, auch im Job 120 Prozent zu geben, ist es kein Wunder, dass sie seltener als Männer eine Führungsposition haben. Nur jede dritte Stelle mit Führungsverantwortung wird von Frauen besetzt, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.

Unternehmen versuchen das unter anderem mit einem ganz speziellen Modell zu ändern: dem Jobsharing. Die Idee dahinter: Zwei Personen teilen sich einen Arbeitsplatz – und damit auch die Belastung und Verantwortung. Wenn Führungskräfte solch ein Tandem bilden, spricht man auch von Topsharing.

Als vor etwa vier Jahren eine Chefposition in der Inneren Medizin an der Evangelischen Elisabeth Klinik in Berlin ausgeschrieben war, nutzten die Oberärztinnen Angelika Behrens und Vera Stiehr die Chance und bewarben sich kurzerhand gemeinsam auf den Posten. Zu ihrer Überraschung ließ sich die Klinikleitung auf das Experiment ein.

Frau Behrens, Frau Stiehr, wie kamen Sie auf die Idee, gemeinsam Ihre Hüte in den Ring zu werfen?

Angelika Behrens: Wir waren Kolleginnen in einem anderen Krankenhaus und hatten bereits drei Jahre als Oberärztinnen zusammengearbeitet. Zu dem Zeitpunkt wollten wir beide uns beruflich verändern und mehr Verantwortung übernehmen. Wir hatten aber auch beide Familien, denen wir gerecht werden wollten. Das ist schwer, wenn man als Chefärztin 250 Prozent arbeitet. Als die Stelle sich dann ergeben hat, sind wir ins Gespräch gegangen und haben uns entschieden, es gemeinsam zu versuchen.

Wie hat die Klinikleitung reagiert?

Behrens: Zunächst haben wir vor allem viele Pausen am Telefon geerntet. Die Gegenseite kannte das System nicht und war etwas überrascht von der Idee. Es gibt immer mal wieder die Situation, dass beispielsweise eine Gynäkologin und ein Geburtshelfer sich eine Stelle teilen, aber dass zwei Ärztinnen mit demselben Schwerpunkt das tun, davon hatten die noch nie gehört. Aber wir haben sie dann in mehreren Gesprächen davon überzeugt. Inzwischen ist auch die Klinikleitung froh, sich darauf eingelassen zu haben.

Was waren die größten Bedenken der Klinikleitung, aber auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Abteilung?

Behrens: Die größte Sorge der Konzernleitung war, dass wir die Kommunikation untereinander nicht hinbekommen und es für die Außenwelt anstrengend sein könnte, die richtige Ansprechpartnerin identifizieren zu können. Es ging dabei vor allem um Verlässlichkeit.

Vera Stiehr: Die Klinik hat uns da einen enormen Vertrauensvorschuss gegeben – und wir haben durch unsere Arbeit gezeigt, dass wir das hinbekommen, dass die Prozesse laufen.

Behrens: Man hat erkannt, dass wir hinter dem Konzept stehen, dass wir es gelingen lassen wollen und ja auch selbst davon profitieren.

Was ist denn Ihrer Meinung nach der größte Vorteil bei dem Modell? 

Stiehr: Der größte Vorteil ist, kein Einzelkämpfer zu sein. Es ist immer noch enorm viel Arbeit, aber da wir sie teilen können, ist die Belastung geringer als wenn wir es alleine machen müssten. Hinzu kommt, dass man immer jemanden hat, mit dem man auch Probleme besprechen kann. Manchmal hilft es schon, einfach nur etwas zu erzählen und es Revue passieren zu lassen. Man wird von der Gegenseite unterstützt, bekommt einen anderen Blick auf die Dinge und muss sich nicht alleine durchkämpfen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Behrens: Es gibt immer wieder Situationen, in denen es zu Konflikten kommt, auch mit dem Personal. Gerade am Anfang, als sich viel verändert hat, kam es immer wieder zu solchen Situationen, das sind inzwischen zum Glück Einzelfälle. Dann ist es hilfreich, wenn man das gespiegelt bekommt und auch erfährt, ob man vielleicht selbst das Problem ist. Man erreicht insgesamt eine höhere Sachebene.

Sie erwähnten vorhin, dass Ihr Arbeitgeber das Modell inzwischen sehr zu schätzen weiß. Welchen Vorteil sehen Sie für die Klinik, schließlich muss sie ja zwei Chefärztinnen für einen Posten bezahlen?

Behrens: Die Klinik hatte tatsächlich Bedenken, was die finanzielle Mehrbelastung betrifft. Aber sie hat ja nicht nur zwei Chefinnen, sondern auch zwei Ärztinnen bekommen und bei einem Grund- und Regelversorger ist es selbstverständlich, dass auch ein Chefarzt sich an der Versorgung beteiligt.

Stiehr: Das Modell hat für den Arbeitgeber viele Vorteile. Wir vertreten uns beispielsweise im Urlaubsfall, es ist also wirklich immer jemand da, der angesprochen werden kann.

Behrens: Das war gerade in der Anfangszeit sehr hilfreich. Wir mussten zunächst einige Prozesse abarbeiten und Strukturen einführen. So haben wir zum Beispiel das digitale Terminmanagement eingeführt, ein Prozess, bei dem es von Vorteil ist, wenn täglich jemand zur Verfügung steht und es nicht zu Unterbrechungen kommt.

Hat sich in der Abteilung viel verändert, als die Stelle durch zwei Chefärztinnen besetzt wurde?

Stiehr: Ja, schon. Letztlich ist die Abteilung ganz neu strukturiert worden. Dadurch hat sich für die Mitarbeiter einiges verändert. Und in manchen Situationen finden die Kollegen es auch ganz praktisch, dass es jetzt zwei Chefinnen gibt, die sie ansprechen können.

Behrens: Wir sind zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, aber in den Wertvorstellungen und vor allem in der Fachlichkeit sind wir extrem eng beieinander. Eine sehr erfahrene Schwester hat es neulich so beschrieben: Es ist wie bei den Eltern: Man weiß immer, wann man zu Mama und wann man zu Papa gehen kann.

Wie findet man Ihrer Meinung nach so einen Partner oder eine Partnerin für ein Topsharing-Modell?

Stiehr: Man sollte möglichst vorher schon zusammengearbeitet haben: Um einschätzen zu können, wie die andere tickt, ob auch die medizinischen Vorstellungen zusammenpassen und ob man auf einer Wellenlänge ist. Man muss zulassen können, dass die andere Person anders entscheidet, als man selbst das tun würde – und das auch vor anderen akzeptieren. Ich finde es wichtig, nach außen eine geschlossene Front zu bilden – und solche Themen dann intern auszudiskutieren.

Behrens: Man braucht definitiv Toleranz, die Entscheidungen des anderen mitzugehen und Verlässlichkeit, weil der andere ja mit drinhängt, wenn mal etwas schiefgeht.

Stiehr: Zum Glück ist bei uns noch nichts schiefgegangen, zumindest nicht, dass ich mich erinnern kann.

Wie bekommen Sie das hin? 

Stiehr: Es geht nur mit Kommunikation. Das ist unser Investment, uns ständig abzusprechen und upzudaten. Wir haben einen gemeinsamen Kalender, lesen die E-Mails gemeinsam –
alleine das hilft schon.

Behrens: Anfangs hatten wir einen extrem hohen Kommunikationsbedarf, aber je besser die Strukturen sind, je gewohnter man im Umgang ist und auch die Kollegen kennt, umso besser funktioniert es. Inzwischen merken wir einen deutlichen Rückgang des Kommunikationsaufkommens.

Sie arbeiten beide 80 Prozent. Wie teilen Sie die Aufgaben auf und wie läuft die Abstimmung?

Behrens: Das Konkreteste an unserem Modell ist, dass es nichts Konkretes gibt. Wir haben natürlich einige Bereiche untereinander aufgeteilt, wo nach außen klar ist, wer dafür zuständig ist. Es gibt zudem zeitliche Absprachen, sodass wir beide mal früher nach Hause gehen können, aber wir richten uns da ganz klar nach den Erfordernissen der Klinik und sind auch jeden Tag im Haus. Aber wir halten uns eben auch den Rücken frei, wenn beispielsweise in der Familie mal etwas ansteht, das uns wichtig ist.

Sehen Sie sich als Vorbilder für andere Ärztinnen und Ärzte? 

Behrens: Wir werden viel darauf angesprochen und ich sehe auch, dass wir eine gewisse Vorbildfunktion haben. So hat sich zum Beispiel eine Kollegin nur aufgrund unserer Geschichte überhaupt getraut, sich auf eine Chefrolle zu bewerben. Viele Männer stellen sich die Frage, ob sie das schaffen, vermutlich gar nicht.

Stiehr: Ich habe schon den Eindruck, dass auch viele männliche Kollegen das gut finden. Ich könnte mir vorstellen, dass das Modell mit dem Generationswechsel mehr Zuspruch bekommen und die Bereitschaft dafür größer wird, weil die Belastung einer Leitungsposition im medizinischen Bereich schon enorm ist.

Behrens: Aber wir leben dieses Modell ja und deshalb kann ich sagen, dass es nicht an allen Stellen realisiert werden kann. Man muss schon erst mal so einen Volltreffer landen, jemanden zu treffen, mit dem man sich so eng abstimmen kann, mit dem man auch auf der Fach- und Sachebene den gleichen Weg geht, die gleichen Grenzen hat. Das ist schon ein großes Lebensglück.

 

Angelika Behrens ist Jahrgang 1973 und hat ein Kind.

Vera Stiehr ist Jahrgang 1971 und hat zwei Kinder.

 

Evangelische Elisabeth Klinik der Johannesstift Diakonie

Der Grund- und Regelversorger ist das zweitälteste Krankenhaus Berlins. In dem akademischen Lehrkrankenhaus der Charité mit 150 Betten versorgen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte jährlich 7.600 Patientinnen und Patienten stationär und mehr als 20.000 ambulant. Träger ist die Paul Gerhard Diakonie.
https://www.johannesstift-diakonie.de/medizinische-versorgung/evangelische-elisabeth-klinik/

 

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