Maren Jasper-Winter (FDP) und Farina Schurzfeld (Unternehmerin) sprechen darüber, warum Frauen wesentlich seltener als Männer gründen

Frauen gründen in Deutschland wesentlich seltener Unternehmen als Männer – auch im Gesundheitswesen. SPD, Grüne und FDP haben sich nun unter anderem vorgenommen, den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor zu erhöhen und dafür ein eigenes Stipendium zu schaffen. FDP-Bundesvorstandsmitglied Maren Jasper-Winter und Unternehmerin Farina Schurzfeld erklären, was sie sich von den Vorhaben versprechen – und was sich darüber hinaus ändern muss, damit es künftig mehr Gründerinnen gibt?

Maren Jasper-Winter ist frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sowie Sprecherin für Aus- und Weiterbildung. In der FDP-Fraktionsvorsitzenden-Konferenz leitet sie die AG Frauen und Gleichstellung. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP und setzt sich dort für Frauen- und Familienpolitik ein.

„In Deutschland wurde die Nachwuchsförderung jahrelang vernachlässigt“

Frau Jasper-Winter, Sie waren an den Koalitionsverhandlungen beteiligt. Die Ampel-Koalition will den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor erhöhen und dafür ein „Gründerinnen-Stipendium“ schaffen. Wie wird dieses Stipendium konkret ausgestaltet sein? Warum setzen Sie auf genau dieses Instrument?

In Deutschland sind Frauen gerade mal an knapp 16 Prozent der Unternehmensgründungen in der Digitalbranche beteiligt. Damit geht uns jedes Jahr aufs Neue ungenutztes Innovationspotenzial verloren. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, können wir uns nicht mit einem derart niedrigen Frauenanteil abfinden. Zudem ist die Förderung von weiblichen Gründungsvorhaben ein wichtiger Schritt hin zu mehr individueller Selbstbestimmung, finanzieller Unabhängigkeit und gelebter Gleichberechtigung.

Das Vorbild für das geplante Gründerinnen-Stipendium der Ampel-Regierung findet sich in Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es seit 2018 für Existenzgründerinnen und Existenzgründer die Möglichkeit eine Förderung als Starthilfe zu beantragen. Das Konzept hat sich als ausgesprochen beliebt und erfolgreich erwiesen. Gründerinnen und Gründer erhalten dabei 1.000 Euro pro Monat für ein Jahr, um die Einkommensunsicherheit in der Anfangsphase der Gründung abzufedern. Zudem können sie von Tipps erfahrener Coaches und verschiedenen Vernetzungsmöglichkeiten profitieren.

Auf Bundesebene soll das Gründerinnen-Stipendium zukünftig gezielt weibliche Gründerinnen in der Digitalbranche ansprechen und ihnen Gründungen in allen Lebenslagen ermöglichen.

Woran liegt es eigentlich, dass der Anteil von Frauen unter Gründern im Digitalsektor deutlich geringer ist als der von Männern?

Damit Frauen mehr im Digitalsektor gründen, brauchen wir vor allem mehr Frauen mit einem MINT-Hintergrund, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Obwohl die Interessen und Fähigkeiten im Kindesalter noch gleich verteilt sind, sind im Berufsleben Frauen in MINT-Disziplinen stark unterrepräsentiert. Ein Schlüssel zu mehr weiblichen Fachkräften und Gründerinnen im Digitalsektor ist daher zweifelsohne eine gezielte MINT-Förderung in den Schulen.

In Deutschland wurde die Nachwuchsförderung jahrelang vernachlässigt und Mädchen und Frauen vermittelt, dass es sich um sogenannte „Männerdisziplinen“ handelt. MINT-Fächer gehören zu den unbeliebtesten Unterrichtsinhalten. Fächer wie Informatik bieten zudem oftmals keine Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung, während die digitale Arbeitswelt heutzutage beides vereint. Schülerinnen und Schülern muss frühzeitig die Sinnhaftigkeit und Anwendbarkeit von MINT-Disziplinen vermittelt werden, um den Bezug zur Berufswelt herzustellen. Aus diesem Grund hat sich die Ampel-Koalition für eine Ausweitung des MINT-Aktionsplans insbesondere für Mädchen ausgesprochen.

Welche anderen Barrieren sehen Sie noch für Frauen, ein Digitalunternehmen zu gründen? Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen?

Der „normale Weg“ in Deutschland ist immer noch, angestellt zu sein statt die Selbstständigkeit anzustreben. Das Risiko der Gründung wird eher gefürchtet, als eine Chance darin zu sehen. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Im Gegensatz zu Deutschland gründen in Österreich zum Beispiel fast genauso viele Frauen wie Männer ein Unternehmen, allerdings tun sie dies in der Regel später als Männer. Starke Netzwerke und Vorbilder sind hier ein Treiber für die positive Bilanz.

Eine Auswertung des Bundesverbands Deutsche Startups zeigt zudem, dass Investments von Business Angels oder Venture-Capital-Fonds bisher vor allem Männern zugutekommen. Frauen bekommen seltener Wagniskapital und streben auch seltener eine entsprechende Finanzierung an. Auch hier möchte die neue Regierung ansetzen, und den Zugang zu Wagniskapital für Frauen verbessern.

Deutschland hat insgesamt Bedarf an digitalen Fachkräften. Wie können Mädchen und junge Frauen für diese Branche begeistert werden? Welchen Beitrag kann die Politik leisten?

Die Digitalisierung ist in vollem Gange und wird in den kommenden Jahren alle Bereiche unseres Lebens grundsätzlich verändern. Wir sollten die Chancen, die uns neue Technologien eröffnen, nutzen – müssen dabei aber sicherstellen, dass Männer und Frauen gleichermaßen von den Möglichkeiten des digitalen Wandels profitieren. Deshalb gilt es, das Interesse und die Talente von Mädchen und jungen Frauen in der digitalen Branche schon früh zu fördern. Programme wie „Jugend gründet“ oder „Startup Teens“ fördern Unternehmertum schon im Schulalter. Ziel unserer Politik muss es sein, diese Kapazitäten weiter auszubauen und neben einer starken MINT-Bildung flächendeckende Angebote für Gründungs- oder Codingkurse an Schulen und Universitäten bereitzustellen.

Wann würden Sie sagen, war die Ampel-Koalition erfolgreich, den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor zu erhöhen? Ist auch hier das Ziel die Parität? 

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung heißt es, die „Gleichstellung der Geschlechter ist Grundlage einer gleichberechtigten Gesellschaft“. Insofern müssen wir Parität vor allem bei der Verteilung der Chancen erreichen, damit es jeder Person möglich ist, frei über den eigenen Lebensweg zu bestimmen. Ein großer Erfolg der Ampel-Regierung wäre es bereits, wenn weibliche Gründerinnen im Digitalsektor nicht mehr die Ausnahme und die bekanntesten Gründer nicht mehr nur Alexander, Marc und Oliver hießen, sondern auch Anna, Sevim und Daria.

 

Farina Schurzfeld ist Unternehmerin und Expertin im Bereich Digitale Gesundheit. Sie hat unter anderem Selfapy mit gegründet – die führende deutsche Plattform für Online-Therapie. Sie lebte mehrere Jahre in Sydney und New York, wo sie unter anderem das Rabattportal Groupon mit aufbaute. Das Forbes Magazin hat sie 2017 als „Top 30 unter 30“ nominiert.

„Es fehlen Rolemodels

Frau Schurzfeld, die Ampel-Koalition will den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor erhöhen und dafür ein „Gründerinnen-Stipendium“ schaffen. Ist das ein Vorhaben, das Gründerinnen entscheidend voranbringt?

Zugang zu Kapital ist wichtig, um Frauen den Schritt zum Gründen zu erleichtern – auch weil der Verzicht auf Gehalt und die Ungewissheit für viele angehende Gründerinnen und Gründer eine Hürde darstellt. Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist: Wie werden Gründerinnen Zugang zu diesem Kapital bekommen? Wird das pragmatisch gestaltet, oder wird es mit so großem bürokratischem Aufwand verbunden sein, dass das Kapital nicht abgerufen wird?

Grundsätzlich sollte die Politik meiner Meinung nach auch an anderer Stelle ansetzen. Gründergeist beginnt bereits im Kindesalter. Daher sollte man bereits in der Schule Unternehmertum und Unternehmerdenke thematisieren. Denn so lässt sich bereits in jungen Jahren ein Unternehmerinnen-Mindset etablieren.

Woran liegt es Ihrer Einschätzung nach, dass der Anteil von Frauen unter Gründern im Digitalsektor deutlich geringer ist als der von Männern?

Es liegt unter anderem an den Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es fehlen Rolemodels, die zeigen: Es ist möglich, Mama und Unternehmerin zu sein. Das ändert sich langsam. Aber im Großen und Ganzen gibt es noch die Vorstellung, dass man entweder Karrierefrau oder gute Mama ist.

Dazu kommt, dass Frauen eine Gründung anders angehen als Männer. Wir neigen dazu, uns und unsere Fähigkeiten zu unterschätzen und sind in vielen Entscheidungen eher risikoavers. Das sind Eigenschaften, die uns in Kindertagen anerzogen werden – durch die Familie, das soziales Umfeld und vor allem in der Schule.

Letztlich spielt auch ein fehlendes Netzwerk eine Rolle. Ich habe das Gefühl, dass Frauen ihr Netzwerk anders aufbauen, nämlich persönlicher als Männer. Und da es mehr Zeit kostet, eine persönliche Beziehung aufzubauen und diese Verbindungen nicht so sichtbar nach außen sind, wird der Mehrwert oft unterschätzt.

Was muss sich ändern, damit die Zahl der Gründerinnen weiterwächst?

Es muss zum einen darum gehen, Vorbilder greifbarer zu machen. Oft hilft es, Ängsten und Bedenken mit Erfahrungen zu begegnen. Entweder Erfahrungen, die man selbst gemacht hat oder von anderen, die einen ähnlichen Weg bereits gegangen sind. Diese Rolemodel-Gründerinnen sichtbarer zu machen und auch zu zeigen, wo sie gescheitert sind, anstatt nur die Erfolgsstorys zu verbreiten – das ist wichtig.

Zum andern kommt es darauf an, die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum zu verbessern. Dazu kann es hilfreich sein, eine Infrastruktur zu schaffen, die das ermöglicht: Mehr Kitaplätze und ein flexiblerer Einsatz von Elterngeld wären zwei Ansatzpunkte.

Was kann Deutschland Ihrer Ansicht nach von anderen Ländern lernen, wenn es darum geht, gute Bedingungen für Gründerinnen zu schaffen?

 Skandinavien macht hier meines Erachtens einiges richtig. Es gibt einerseits hohe Steuern, aber andererseits ein großzügiges Sozialsystem. Dazu gibt es eine Kultur, in der weibliche Vorbilder nach vorne treten und eine laute Stimme haben. Sowohl in der Politik als auch in der Industrie haben Frauen eine laute Stimme, sodass es Vorbilder gibt, die Gründerinnen Mut machen diesen Weg zu gehen.

 Deutschland hat insgesamt Bedarf an digitalen Fachkräften. Wie können Mädchen und junge Frauen für diese Branche begeistert werden? Welchen Beitrag können Unternehmen dabei leisten?

Für mich beginnt Faszination mit Neugierde. Neugierde weckt man dadurch, dass man sich spielerisch einem Thema widmet. Das beginnt für mich schon in der Kita und endet beim Berufseinstieg. Es geht darum, spielerisch mit digitalen Tools in Berührung zu kommen und zu erleben, was sie bewirken können – also Erfahrungswerte zu schaffen und diese über den Bildungsweg weiter zu fördern und auszubauen. Unternehmen können dabei helfen, Unternehmergeist zu fördern und die Infrastruktur für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und digitale Bildung zu schaffen.

 

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